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Channel: Muttermythen – umstandslos.
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Wir sind müde. Wir sind wütend. Wir sind immer noch solidarisch.

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Graffito das einen Handrücken mit ausgestrecktem Ringfinger zeigt. Die Nägel der Hand sind rot lakiert. Das Graffito hat die Aufschrift: With Love.

Bevor wir mit umstandslos in ein neues Kleid schlüpfen, schließen wir vom Redaktionsteam die aktuelle Ausgabe mit diesem Kommentar zur Situation von Müttern und Eltern in unserer Gesellschaft ab, der gleichzeitig den Weg in die Zukunft unseres Magazins weisen soll.

Wir sind wütend.
(Catherine)

D. ist Meisterin eines Handwerks. Als sie das erste Kind bekommt, leitet sie ihre Firma weiter und finanziert ihrem Mann das Studium. Beim zweiten Kind gibt sie die Firma ab und arbeitet zwei Nachmittage an der Käsetheke im Supermarkt. Das dritte Kind ist vor vier Wochen zur Welt gekommen und D. wird nicht mehr arbeiten gehen. Ihr Mann ist befördert worden; er verdient jetzt mehr Geld und muss mehr arbeiten – für ihre Schichten im Verkauf ist keine Zeit mehr und ihr graut davor, das erste Mal in ihrem Leben als Erwachsene kein eigenes Geld zu verdienen. Abhängig zu sein von ihrem Mann.

J. hat ihr Studium abgebrochen, als sie schwanger wurde. Sie hat geheiratet und noch einige Kinder bekommen und lebt jetzt mit ihrer Familie in dem Haus, das ihr Mann von seinen Eltern geerbt hat. Die letzten 15 Jahre hat sie ihre Kinder und die Kinder von Freundinnen betreut und wenn in zwei Jahren die jüngste Tochter in den Kindergarten kommt, wird sie die freien Vormittage mit einem schlechten Gewissen füllen. Sie hat keine Ersparnisse. Nichts gehört ihr. Sie ist „nur Mutter und Hausfrau“.

K. ist in einer lockeren Beziehung schwanger geworden und hat deshalb eine berufliche Weiterbildung abgebrochen. Sie erzieht das Kind hauptsächlich alleine; arbeitet halbtags und stockt ihren Lohn mit Sozialbeiträgen auf. Alle paar Monate meldet sich der Kindsvater und möchte Wochenenden und Feiertage mit „seinem“ Kind verbringen. Sie macht mit und kommt ihm entgegen, wo es geht. Er zahlt keinen Cent Unterhalt, er kümmert sich nicht um alltägliche Belange, ihn interessieren die Regeln, die K. aufstellt, überhaupt nicht. Aber. Er ist der Vater. Das Kind braucht ihn.

Mich macht es wütend und fassungslos, dass nach so vielen Jahren Frauenbewegung obige Geschichten normale Frauenschicksale in Deutschland sind. Dass Kinder kriegen immer noch Armut bedeutet, Abhängigkeiten. Dass Reproduktionsarbeit nicht bezahlt wird. Dass die Vereinbarung von Kind und Lohnarbeit so schwer möglich ist. Dass Väter nur aufgrund einer biologischen Beziehungen so viel Macht über das Leben von Menschen haben. Ich will alles für alle. Ganztagsbetreuung, die bezahlbar und gut ist für Leute, die das wollen. Ernsthaftes Geld für Leute, die dem Kapitalismus Humankapital liefern und die Maschine am Laufen halten, indem sie Kinder erziehen und Dinge konsumieren. Auch und vor allem für diese Kinder. Unterstützung, moralische und finanzielle, für Personen, die keinem Kleinfamilienidyll entsprechen, aber eben auch genau so Eltern sind. Ich will, dass wir alle, die wir Eltern sind in unserer Verschiedenheit und in unseren diversen Wünschen das Gemeinsame und Verbindende sehen. Die Tatsache, dass wir ein gutes Leben wollen für uns und unsere Kinder und dass das viel mit Anerkennung und Geld zu tun hat. Mit Rückenstärken, sich selbst und anderen. Und mit Freiheit, das zu leben, was der einzelnen Familie wichtig ist.

Wir sind müde.
(Cornelia)

„Wenn ich Kinder hätte, würde ich spätestens jetzt auf die Barrikaden steigen“, schreibt irgendein Journalist bei Twitter. Anlass ist die seit Februar kostenpflichtige Nachmittagsbetreuung in Oberösterreich. Seither mussten 50 Gemeinden Kindergruppen schließen, 30 Gemeinden haben keine Nachmittagsbetreuung und es gibt um knapp ein Drittel weniger Anmeldungen. Irgendeine Stadträtin spricht von „Bereinigung“ und davon, dass sich Eltern eben nicht auf Kosten anderer „zurücklehnen“ können. Die rechtskonservative Landesregierung in Oberösterreich macht – nicht nur beim Thema Kinderbetreuung – vor, wie das reaktionäre Frauenbild, das auch die neue Regierung in Österreich vertritt, per Gesetz gelebt werden kann.

Auf die Barrikaden also! Wehrt eure eigene Altersarmut ab! Lehnt. euch. nicht. zurück. Und sagt später nicht, man hätte euch nicht gewarnt! Da war die Broschüre, die während der Karenzzeit in den Briefkasten geflattert ist, in der Eltern schön grafisch aufbereitet erklärt wurde, wie niedrig ihre Pension ausfallen wird, wenn sie zwei, fünf, sieben oder gar zehn Jahre nicht oder nur in Teilzeit erwerbsarbeiten. Und dann gibt es natürlich diese hübsche Leinentasche mit der Info-Mappe vom Arbeitsmarktservice für den beruflichen Wiedereinstieg nach der „Familienphase“. Familienphase, genau – ist das nun zynisch oder angesichts der Betreuungsmöglichkeiten einfach nur ehrlich. Jede_r, der_die eins und eins zusammenzählt, kommt nicht umhin, sich zu wundern, warum die betroffenen Mütter nicht spätestens jetzt auf die Barrikaden gehen. Oder?

Wenn er also Kinder hätte.

Uff. Nach über sechs Jahren Mutterschaft ertrage ich Menschen, die Eltern erklären, was sie zu tun (oder wahlweise auch zu lassen) hätten, nur mehr schwer. Wie genau sollen wir uns das vorstellen? Das mit den Barrikaden der betroffenen Eltern oder, besser gesagt, Mütter – denn um die geht es letztlich. Als beschwörender Sit-in vor dem Parlament? Als hupender Autokonvoi durch irgendeine Innenstadt? Als Protestpostingflut auf Facebook? Wo genau sollte das geplant werden? Und wann konkret stattfinden? Am besten während die Kinder im Kindergarten sind … oh, wait.

Wenn er also Kinder hätte.

Vielleicht verstünde er dann, wie müde das machen kann. Es macht mich so müde, dass Elternthemen immer noch hauptsächlich Mütterthemen sind. Es macht mich müde, dass Väter abwesend sein können und es in so vielen Fällen auch sind. Es macht mich müde, dass unsere Gesellschaft nicht nur strukturell, sondern auch im Alltag so viele kinderfeindliche Facetten hat. Es macht mich müde, dass die Lebensentwürfe und Lebensentscheidungen von Menschen mit Kindern stets entlang alter und neuer Ideale oder Mythen von Mutterschaft bewertet werden. Es macht mich müde, dass zwei Drittel aller unbezahlter Sorge- und Hausarbeit von Frauen gestemmt werden müssen. Es macht mich müde, dass das Feuilleton künstliche Gräben zwischen Eltern aufreißt, anstatt kluge Diskurse, die uns als Gesellschaft weiterbringen, zu ermöglichen. Es macht mich müde, dass es zwar viel Wissen über, aber kaum Handeln gegen Kinderarmut und Bildungsbenachteiligung gibt. Es macht mich müde, dass der Staat glaubt, Rechte an schwangeren und gebärenden Körpern geltend machen zu können. Es macht mich müde, dass Gewalt bei der Geburt immer noch tabuisiert und/oder normalisiert wird.

Wenn er also Kinder hätte.

… dann würde ich ihm wünschen, dass er Menschen hat, die mit ihm und für ihn auf die Barrikaden gehen.

Wir sind immer noch solidarisch.
(Antonia)

6 Jahre, 2 Kinder und 3 neue Jobs später hatte auch ich schon einmal mehr Kraft um für mich und_oder andere auf die Barrikaden zu steigen. Die Ressourcen für alles außerhalb von Erwerbs- und Care-Arbeit sind in meinem Alltag so knapp, dass sich schon mal die Frage stellt, ob es dringender ist, auf eine Demonstration zu gehen oder eine Freund*in auf einen Kaffee zu treffen.

Was für mich in den letzten 4 Jahren immer dringend war, war die Arbeit an umstandslos. Meistens findet sie dann statt, wenn alle anderen schon schlafen. Manchmal dann, wenn mir auch selbst schon die Augen zufallen.

Aber trotzdem, irgendwer muss es ja tun, denke ich mir dann.

Weil es einen Ort geben muss, an dem Fragen der Vereinbarkeit nicht nur unter dem Paradigma der Selbstoptimierung diskutiert werden. Einen Ort, an dem von Diskriminierung betroffene Mütter_Eltern zu Wort kommen und ihre Geschichten erzählen, die es im Idealfall anderen ermöglichen, ihre eigene Erfahrungen zu reflektieren und daraufhin womöglich ebenfalls aufstehen.

Einen Ort, an dem wir uns nicht damit auseinandersetzen, was es bedeutet, eine gute Mutter zu sein oder wie wir eine solche werden können, sondern wo wir dieses Ideal hinterfragen und uns solidarisch gegenüber den verschiedensten Zugängen des Mutter_Elternsein zeigen.

Wo wir nicht darüber diskutieren, was der richtige Erziehungsstil ist, sondern kritisch hinterfragen, warum das denn so viel diskutiert werden soll.

Wo wir Strukturen analysieren, die den Zugang zu Ressourcen von Müttern_Eltern beschränken und ein selbstbestimmtes Leben nicht in dem Ausmaß stattfinden lassen, wie wir es uns wünschen. Wo wir Mütter_Eltern nicht als homogene Gruppe begreifen und dennoch unseren Blick auf das richten, wofür es sich lohnt gemeinsam zu kämpfen.

Wo sich Mütter_Eltern ihrer eigener Privilegien bewusst sind und ein reflektierter Umgang damit stattfindet.

In den letzten 4 Jahren haben wir auf umstandslos fast 300 Texte veröffentlicht. 300 Texte, in denen wir versucht haben, unter den oben beschriebenen Prämissen, einen Blick auf Mutter_Elternsein zu werfen. Nicht immer ist uns das gleich gut gelungen. Ich denke, das ist Teil des Prozesses, wenn eins sich mit internalisierten Handlungsmustern und -zugängen auseinandersetzt und versucht diese aufzubrechen.

Besonders wertvoll erscheint mir die Arbeit an umstandslos, wenn sie Texte hervorbringt, die die Solidarität und das gegenseitige Verständnis unter Müttern_Eltern einerseits und unter Eltern und Nicht_Eltern andererseits wachsen lässt. Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass Texte dieses Potential haben und wünsche mir, dass umstandslos in Zukunft noch mehr eine Plattform wird, die solche Texte hervorbringt.

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erschienen in: ab.schließen

Beitragsbild: (c) LADY KLA via wikimedia commons CC BY 4.0


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